Ausgabe 2014 KW 36 - Einzel- und Variantenfertiger

Mass Customization

Herausforderungen in der Variantenfertigung

Wie Abwechslung Freude macht

Baukastensysteme beschränken die Flexibilität bei Variantenfertigern. Quelle: Infor

Die klassische Variantenfertigung wird bei der „Mass Customization“ noch ein Stück weitergeführt. Im B2B-Segment wie etwa im Maschinen-, Geräte- und Messtechnikbau begrenzen eher technische Begebenheiten als die Kreativität die Möglichkeiten.

Beides stellt Hersteller jedoch vor die gleichen Herausforderungen: Mit der Variantenvielfalt werden Prozesse komplexer. Es gilt mehr Arbeitsschritte zu berücksichtigen und mehr Materialien bereitzustellen, ohne dass steigende Kosten die Marge drücken.

Mass Customization

Ein Konfigurator für das gesamte Unternehmen. Quelle: Infor

Schokolinsen mit Aufschrift, Turnschuhe in der Lieblingsfarbe, Parfumflakons mit Eigenkreation und Widmung: Insbesondere im Segment der so genannten Fast Moving Consumer Goods sind individualisierte Produkte seit Jahren ein wachsender Trend. Belegt mit dem Etikett ‘Mass Customization’ geht es darum, Kunden mit ihren individuellen Wünschen schon im Produktdesignprozess einzubinden.

Den Rahmen für die Freiheit persönlicher Kreationen setzt ein Baukastensystem. Damit führt Mass Customization die klassische Variantenfertigung noch ein Stück weiter. Letztere ist traditionell im B2B-Segment wie etwa im Maschinen-, Geräte- und Messtechnikbau zu finden und eher durch technische Begebenheiten als durch Kreativität begrenzt.

Beides stellt Hersteller jedoch vor die gleichen Herausforderungen: Mit der Variantenvielfalt werden Prozesse komplexer. Es gilt mehr Arbeitsschritte zu berücksichtigen und mehr Materialien bereitzustellen, ohne dass steigende Kosten die Marge drücken.

Variantenprozess schlank halten

Die Komplexität von Varianten entsteht bereits früh in der Vertriebsphase bei der Erstellung des Angebots – nicht erst bei der technischen Umsetzung. Marketingmaterial, beschreibende Texte, Preise und Angebote müssen die Variantenvielfalt ebenso reflektieren. Je präziser die Möglichkeiten innerhalb der Auswahl definiert sind, desto weniger Nachfragen gibt es – und desto effizienter kann ein eingehender Auftrag an die Produktion übergeben werden. Beispiel geschlossene und offene Merkmale: Während bei Farben oft eine endliche Anzahl an Möglichkeiten vorgegeben wird, ist die Auswahl bei Maßen prinzipiell offen – zumindest im Rahmen des technisch Machbaren.

Die klassische Auftragsbearbeitung konzentriert sich auf eben diese geschlossenen und offenen Merkmale, die im Vertriebsprozess ausgewählt worden sind. Diese müssen aber nicht automatisch alle relevanten technischen Merkmale widerspiegeln. Ein häufiger Fall: Ausgewählte Designmerkmale erfordern eine vom Standard abweichende technische Merkmalskombination – mit Auswirkungen auf die Stückliste.

Müssen diese Ergänzungen per Hand vorgenommen werden, entsteht für den sonst weitgehend automatisierbaren Prozess der Stücklistenerstellung ein immenser Mehraufwand. Hier sind ERP-Systeme gefragt, mit denen sich die Prozesse von der Auftragserfassung samt Produktkonfiguration über die Produktionsplanung- und Steuerung, Materialwirtschaft und Einkauf bis hin zur Auftragsverfolgung und Distribution durchgängig steuern lassen. Bei der Auswahl einer entsprechenden Lösung sollten sich Geschäftsführung und IT-Verantwortliche die folgenden fünf Fragen stellen:

Für die Variantenfertigung gibt es zahlreiche Speziallösungen, die gängige ERP-Systeme um Module für Produktkonfiguration, Kapazitäts- und Reihenfolgenplanung sowie für die Produktion von Sonderanfertigungen ergänzen. Der Trend geht allerdings zu integrierten Lösungen. Der Vorteil zeigt sich im Detail: Denn nicht nur Logik und Stammdaten, einschließlich Artikel, Stücklisten, APL, Preise und Konditionen, müssen zwischen den Lösungen austauschbar sein. Mit den Informationen aus den Modulen muss sich jedes Feld in der Datenbank der ERP-Software aktualisieren lassen können, z.B. das durch die Konfiguration ermittelte Gewicht. Hier greifen adaptierte Lösungen oft zu kurz. Ein möglicher Lösungsweg für die Integration kann über eine standardbasierte Middleware führen. Voraussetzung ist, dass sie auch als Workflow-Engine fungiert und so Änderungen schon während der Auftragsbearbeitung in die Prozesse einsteuern kann – beispielsweise mit Hilfe einer Web Services-Architektur.

Eine auf Variantenmanagement ausgelegte ERP-Software bietet auch für Sonderwünsche Unterstützung. Der Klassiker: Der Kunde hat bereits geäußert, dass er sich für ein Produkt mit einer individuellen Konfiguration entschieden hat. Doch dann folgt ein „Aber...” mit einem komplizierten Sonderwunsch. Es ist anspruchsvoll, Besonderheiten, die noch nicht völlig durchdacht sind, in den Prozess aus Bestellung, Materialbeschaffung und Produktion zu integrieren. Im Idealfall kann das ERP-System die neue, unbekannte Variante als kundenauftragsbezogene Fertigung darstellen. Auf dieser Basis können die auftragsbezogenen Daten dann gezielt optimiert werden.

Bei vielen Produkten spielen Emotionen eine entscheidende Rolle, etwa bei Autos von Premiummarken oder anderen Luxusgütern wie Segelyachten. Entsprechend ist das Design ein wichtiger Teil des Verkaufsprozesses und sollte grafisch professionell dargestellt werden. Empfehlenswert sind Produktkonfiguratoren, die sich mit Modulen für eine automatisierte Erstellung von 2D- und 3D-Modellen kombinieren lassen. Idealerweise generiert eine geometrische Engine die Zeichnungen parallel zur Dateneingabe und kann sie in den gängigen CAD-Formaten ausgeben. Konsequenterweise sollte der grafische Konfigurator nicht nur herstellerinterne Lösungen bestücken, sondern den Prozess schon viel früher unterstützen – etwa bereits beim Händler oder im Online-Shop.

Kundenservice

Screenshot proALPHA
Guido Herres ist Director Business Consulting bei Infor. Quelle: Infor

Kundenservice nimmt in der Variantenfertigung einen wichtigen Stellenwert ein. Das fängt beim Konfigurationsprozess an, geht über die pünktliche Lieferung und reicht bis zum Wartungsservice über den gesamten Lebenszyklus’ des Produkts. Sinnvoll ist daher, wenn sich im ERP-System je Auftrag die gesamte Produkthistorie samt Garantien hinterlegen lässt und Kundenbetreuer darauf zugreifen können. Damit ist gewährleistet, dass Kunden bei Wartungsanfragen oder Neuaufträgen kompetent beraten werden können. Dabei sollte sich der Service nicht auf den lokalen Markt beschränken: International aufgestellte Software-Anbieter können verschiedene Sprachen, Währungen und Maßeinheiten abbilden und so individuellen Service über Marktgrenzen hinweg sicherstellen.

Je simpler und ansprechender die Oberfläche eines ERP-Systems ist, desto besser stehen die Chancen auf Mitarbeiterakzeptanz. Der Trend geht zu Lösungen, die statt Listen- und Formularansichten das Kommunikationsdesign von Social Network-Applikationen wie Twitter oder Facebook übernehmen. Im Vertriebsprozess sollte zudem die Möglichkeit gegeben sein, Konfigurationen mit mobilen Geräten zu erstellen. Im Idealfall zeigt eine dynamisch anpassbare Benutzeroberfläche basierend auf Anwenderrolle, Gerätetyp, Standort und Aufgabe gleich die passende Produktansicht, Sprache, Währung und Preiskalkulation an.

Guido Herres

ist Director Business Consulting bei Infor.