Ausgabe 2014 KW 40

Apps in der Industrie

Mobilität als Akzeptanzfaktor in der Industrie

Mobile Lösungen im Maschinen- und Anlagenbau

Prof. Claus Oetter, Stellv. Geschäftsführer Fachverband Software des VDMA, skizziert das Potenzial für Apps in der Industrie. Quelle: VDMA

Das Schlagwort „Industrie 4.0“ beschreibt den grundlegenden Paradigmenwechsel von der hierarchisch strukturierten Automatisierungspyramide zu einem kooperierenden Steuerungsnetzwerk mit dem Ziel einer hochflexiblen Produktion für individualisierte Produkte. Die Flexibilität und Vielfalt von Smart Devices – Tablet-Computer und Smartphones – können hierzu Mehrwerte für komplexe Anlagen und Infrastrukturen schaffen. Das Gespräch mit Prof. Claus Oetter, Stellv. Geschäftsführer Fachverband Software des VDMA skizziert, wie sich Mobility zu einem Akzeptanzfaktor im industriellen Einsatzbereich entwickeln kann. Doch mit dem Einsatz von „Smart Devices“, die ursprünglich nicht für das industriellen Umfeld entwickelt wurden, und von mobilen Apps betreten die Maschinen- und Anlagenbauer Neuland.

Weitere Details dazu bringt die Podiumsdiskussion "Mobilität als Akzeptanzfaktor" auf der IT & Business (am 9.10.2014, von 10:30 bis 11:30), an der Vertreter aus der Industrie (von abas, Smart HMI, UID), aus dem Fraunhofer IESE sowie vom VDMA teilnehmen.

Strategisches Vorgehen

Das iPhone 6 enthält interessante Sicherheits-Features. Quelle: Apple

Die Intelligenz von Produktionsanlagen stellt das Fundament für die Vision „Industrie 4.0“. Deswegen sind eine effiziente Maschinensoftware und der zunehmende Datenaustausch auf der Fertigungsebene wichtige Erfolgsfaktoren. „Softwaretechnologien in Verbindung mit modernen Mobilgeräten eröffnen Herstellern und Anwendern neue Wege zur Informationsverarbeitung mit Produktionsmaschinen und –anlagen“, erklärt Prof. Claus Oetter, Stellv. Geschäftsführer des Fachverbands Software im VDMA.

Dabei können, so Oetter, die positiven Erfahrungen der Anwender vom privaten Umfeld auf industrielle Anwendungen übertragen werden. „Hierzu zählen der bedarfsgerechte Informationsgehalt, die erhöhte Übersichtlichkeit durch Informationsreduzierung und insbesondere die intuitive Bedienphilosophie mit Gesten und Symbolen. Die Verwendung orts- oder lageabhängiger Informationen über die eingebaute Gerätesensorik sowie die unkomplizierte Installation und Verwendung der Apps auf unterschiedlichen Geräteplattformen eröffnen neue Einsatzmöglichkeiten.“

Um Konzepte mit Smart Devices erfolgreich umzusetzen, bedarf es nach seiner Einschätzung allerdings einer gründlichen Vorplanung und tiefer gehenden Kenntnisse über die verfügbaren Technologien. Bereits die Wahl der Geräteplattform kann die Investitionssicherheit entscheidend beeinflussen. „Zur Konzeptfindung sollte der Maschinenhersteller frühzeitig die wirtschaftlichen und technischen Ziele seiner ‚App-Strategie‘ festlegen“, empfiehlt Oetter. „Dienstleister im Markt bieten hierzu ihre Unterstützung an. Dabei sind das grundlegende Geschäftsmodell, die Zielgruppe, der Einsatzbereich und die Ausbringung über einen App-Store zu betrachten. Das Bedienkonzept, die Infrastruktur und die technischen Randbedingungen hinsichtlich Funktionalität und Umgebungsverhältnissen sind anwendungsbezogen im Detail festzulegen.“ Insbesondere müsse das von den schnellen Entwicklungsschritten geprägte Lebenszyklusmanagement der Produkte in der App-Strategie bewertet werden.

„Zweifache“ Sicherheit

Mit systematischen Vorgehen in fünf Schritten kommt man zur innovativen App. Quelle: Fraunhofer IESE

Spezifische Anforderungen stellt der Produktionsbereich an die Informationssicherheit. Zudem gilt es in den meisten Fällen auch, die Maschinensicherheit im Konzept zu berücksichtigen. „Speziell die Informationssicherheit und die abzuleitenden Security-Konzepte haben in der Industrie eine extrem steigende Bedeutung“, stimmt Oetter zu. „Allerdings liefert der Einsatz von Smart Devices in der Produktion hierzu keine neuen Aspekte. Vielmehr müssen mobile Geräte und Anwendungen in der Risikoanalyse für das Sicherheitskonzept einer Anlage Berücksichtigung finden. Stichworte sind hier Verschlüsselung, Benutzerauthentifizierung und abgesicherte Datenverbindung.“

Aus Sicht der Automatisierungstechnik ist es von Interesse, ob eine Datenverbindung zu einem Steuerungssystem, einer Maschine oder Anlage aufgebaut werden soll. „Für mobile Apps mit Fokus auf beispielsweise Planung, Projektierung, Berechnung oder Auslegung von Komponenten ist dies nicht zwangsläufig erforderlich“, führt Oetter aus. „Hingegen erfordert der lokale Zugriff auf Maschineninformationen über ein Smart Device eine Datenverbindung zum Automatisierungssystem. Dies ermöglicht eine Fülle neuer Anwendungsszenarien im Produktionsumfeld wie beispielsweise intuitive Maschinenbedienungen, beschleunigte Anlagenoptimierung, lokale Betriebsdatenerfassung oder eine Beschleunigung von Diagnose und Wartung.“ Für Letzteres könnten sich für Maschinenhersteller neue Wege der Kundenbindung für beispielsweise After-Sales-Service aufzeigen.

Aus diesen vielfältigen Parametern leitet sich das technische Konzept zur Verwendung von Smart Devices mit den zu verwendenden Endgeräten und Entwicklungsplattformen ab. „Da sich derzeit kaum Technologien so rasant entwickeln wie die von Smart Devices und der verwendeten Kommunikationsplattformen, sollte sich der Maschinenbau frühzeitig mit diesen auseinandersetzen“, gibt Oetter zu Protokoll. Dies sei auch vor dem Hintergrund wichtig, dass mobile Lösungen in der Produktion ihren Beitrag in der Vision Industrie 4.0 leisten werden. „Hierzu gibt der Leitfaden ‚App-Entwicklung für die Industrie – Grundlagen und Entscheidungshilfen‘, den der VDMA im Herbst 2014 vorstellt, wertvolle Übersichten über die aktuell verfügbaren Technologien und Einsatzmöglichkeiten von Smart Devices in der Produktion. Er bietet dem Maschinenhersteller eine erste Hilfestellung in Konzeptfindung, Erstellung und Ausbringung mobiler Apps im industriellen Umfeld.“

Industrie 4.0

Das Design der Software-Oberfläche muss auf die Formfaktoren der Smart Devices angepasst werden. Quelle: PSIpenta Software

Das Schlagwort „Industrie 4.0“ beschreibt den grundlegenden Paradigmenwechsel von der hierarchisch strukturierten Automatisierungspyramide zu einem kooperierenden Steuerungsnetzwerk mit dem Ziel einer hochflexiblen Produktion für individualisierte Produkte. „Darüber sollen neue, übergreifende Handlungsfelder und Kooperationsformen entstehen, die die heutigen Wertschöpfungsprozesse verändern und die Arbeitsteilung in der Produktion neu organisieren“, erläutert Oetter. „Flexibilität und Vielfalt von Smart Devices können hierzu Mehrwerte für komplexe Anlagen und Infrastrukturen schaffen. Deren intelligente Fähigkeiten ermöglichen in der Wechselwirkung mit dem hohen Vernetzungsgrad und dem ‚Internet der Dinge und Dienste‘ neue Perspektiven für industrielle Prozesse und industrienahe Dienstleistungen. Smart Devices können damit für viele Maschinenhersteller und Anwender den Zugang für die Produktion von morgen darstellen.“

Doch der Produktlebenszyklus von Apps und Smart Devices bereitet auch Problem, so Oetter: „Smart Devices und die darauf basierenden Hardware- und Softwaretechnologien unterliegen im Vergleich zur SPS-basierten Automatisierungstechnik sehr kurzen Entwicklungszyklen. Alle führenden Hersteller erneuern praktisch jährlich ihr Geräteportfolio, im High-End-Bereich werden die jeweils aktuellsten Chipsätze und Softwareversionen der mobilen Betriebssysteme verbaut.“

Das habe zur Folge, dass eine App, die für ein spezielles Endgerät entwickelt wurde, damit nicht zwangsläufig auf neueren Geräten ohne Einschränkung lauffähig ist. Aus diesem Grund erhalten kommerzielle Anwendungen über die App-Stores der Gerätehersteller häufige Aktualisierungen. „Damit obliegt eine App wie jedes Produkt den Kriterien der Produktpflege im Rahmen des Produktlebenszyklus-Management“, mahnt Oetter an. Die Kompatibilität mit den eingesetzten Endgeräten beeinflusse dabei alle Phasen im Produktlebenszyklus – Entstehung, Vermarktung und Nachsorge. Damit sollte man der Verteilung von Apps besondere Aufmerksamkeit widmen.

Denn die Bereitstellung von Apps für Smart Devices, das „Deployment“, unterscheidet sich laut Oetter von den üblichen Wegen industriell eingesetzter Software über beispielsweise Datenträger oder Produktwebseiten. So erfolgt die Ausbringung von Apps im kommerziellen Umfeld über die App-Stores der Gerätehersteller. „Deren Nutzung obliegt dabei detaillierten Vorgaben für die Anbieter von Apps, die den Einsatz von App-Stores im Produktionsbereich einschränken oder sogar verhindern können – wie etwa die Exportkontrolle oder einschlägige Lizenzbedingungen.

Rainer Huttenloher